Nicht mehr für andere – sondern für mich
Impuls No. 15
Dein Schmerz ist nicht mein Auftrag
Würde anerkennen statt übergehen
Es gibt einen Unterschied zwischen mitfühlen und übernehmen. Zwischen da sein – und eingreifen. Und manchmal haben wir genau das verwechselt. Wir dachten, dass echter Kontakt bedeutet, sofort zu handeln, zu trösten, zu tragen. Doch in Wahrheit übergehen wir damit oft etwas Wesentliches: den Moment, in dem der andere sich selbst begegnet. Seinem Schmerz. Seiner Geschichte. Seinem Weg. Und auch seiner Würde – die genau dort wächst, wo wir nicht dazwischengehen.
Ich habe viele Jahre geglaubt, dass es meine Aufgabe ist, das Leid anderer zu mildern. Dass meine Sensibilität mich verpflichtet, einzugreifen. Ich habe mich stark gefühlt, wenn ich gehalten habe – und verantwortlich, wenn ich es nicht getan habe. Doch Stärke ohne Grenze wird zur Übergriffigkeit. Und Hilfe, die nicht gefragt ist, wird zum stillen Machtspiel, auch wenn sie sich gut anfühlt.
Ich darf dich fühlen, ohne dich zu retten. Ich darf da sein, ohne dich durch deinen Prozess zu führen. Ich darf deine Tränen sehen, ohne sie wegwischen zu müssen. Und ich darf anerkennen, dass dein Schmerz Teil deines Weges ist – nicht meiner.
Wenn ich deinen Schmerz zu meinem Auftrag mache, entmündige ich dich leise. Dann glaube ich, dass du es nicht allein kannst. Und vielleicht geht es gerade nicht darum, dass es dir schnell besser geht – sondern dass du dir selbst in der Tiefe begegnest. Ohne Helfer dazwischen. Ohne Trost, der dich von dir selbst ablenkt.
Ich will deine Würde nicht ersetzen. Ich will sie achten. Auch dann, wenn du gerade fällst. Auch dann, wenn es mir schwerfällt, da zu bleiben. Denn vielleicht braucht es genau das: ein Gegenüber, das nichts tut – und trotzdem bleibt.

Darf ich aufhören, Schmerz lösen zu wollen – und stattdessen still zu bezeugen, dass du ihn selbst halten kannst?
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